Malorny-Leseproben:
BEWEGUNGEN IM UNTERGRUND
Dunkle Gedichte
1996 - 95 Seiten, Taschenbuch
ISBN 3-930148-08-0 / EUR 11
im
ARIEL-VERLAG, Essen
Quatscht mich ja nicht von der Seite an...
Ich bin ein ganz schwieriger Fall.
Auf der Arbeit rede ich mit niemandem.
Wenn jemand was von mir will,
knurre ich ihn nur an.
Die wissen dann Bescheid und
lassen mich in Ruhe.
Keiner möchte etwas mit mir zu tun haben.
Mein bester Freund ist der Whiskey.
Den benutze ich zum Nachspülen, wenn
ich gerade eine Portion Stacheldraht
verputzt habe.
Ich pisse in die Handtaschen
alter Damen, und in den Kneipen
werden rechts und links die Hocker frei,
sobald ich eintrete.
Und für die, die mich noch nicht
kennen, straffe ich meinen Gehrock
in den Hüften ein bißchen mehr
zusammen, damit die Konturen
meines Peacemakers am Gürtel richtig
zur Geltung kommen.
Aber die meisten wissen genau, daß
sie keine Chance
gegen mich haben.
Ich kann mir mit einer Hand eine
Zigarette drehen und mit der anderen
befördere ich 4 Großmäuler
gleichzeitig ins Nirwana.
Unten im Hof des Hauses, wo ich wohne,
holen die Mütter ihre Kinder rein,
kaum daß ich erscheine.
Ich schmeiße die leeren Flaschen
durchs Fenster.
Im Sommer durchs offene
und im Winter durch die Scheibe.
Die Leute haben sich daran gewöhnt.
Da sagt keiner was.
Mag sein, daß ich in einer verkehrten Welt
lebe, aber anders kann man sich nicht
durchsetzen.
Gestern meinte so ein Typ zu mir:
Die Welt ist schon in Ordnung, doch mit dir
stimmts wohl nicht.
DAS war sein letzter Satz.
Der letzte Kampf
Wir standen uns auf zwei abgesägten Baumstümpfen gegenüber.
Früher mochten es wohl stattliche Fichten
gewesen sein, deren
Geäst weitverzweigt und machtvoll in den Wald
rankte, und als
Schluß einer bäumlichen Tragödie waren es nun
die
einzigen Baumstümpfe
in diesem Waldgebiet, auf denen wir uns
entgegenstanden.
Unsere Entfernung voneinander betrug vielleicht 4
Meter.
Wir hatten uns darauf geeinigt, daß wir unser letztes,
gut
vorbereitetes Gefecht hier, in diesem entlegenen
Waldstück
austragen wollten.
Es gab genügend Helden aus
Westernserien, denen wir nacheifern
konnten, und ich schlug meinen Rock
auf der linken Seite um,
an dem mein selbstgebastelter, verkürzter
Henrystuzen im
Hüftholster hing.
Mein Bruder legte seinen
Jackenaufschlag frei und gab den Blick
auf eine abgesägte Schrotflinte
preis.
Was dann geschah, passierte in Sekunden.
Ich zog phänomenal
flink, betätigte den Abzug
und wurde urplötzlich
an der Brust
getroffen.
Wie schon immer, stand er lächelnd in Gewinnerpose da
und
schwenkte
die Schrotflinte mit dem Lauf nach hinten über seine
Schulter.
Wutentbrannt sprang ich von dem Baumstumpf und verfluchte
alle
jene, die ich gerne gewesen wäre: Hoss, Manolito und
Old
Shatterhand.
Später debattierten wir diesen Fight bis ins kleinste
Detail
und kamen zum Schluß, daß eine simple Ladehemmung
zwischen
Einmachgummi und Wäscheklammer meinen Niedergang
bewirkt
hatte.
Somit gab es noch eine Menge zu lernen; denn ich war
damals
6 und mein Bruder 7 Jahre alt.
Du schläfst
ich sitze lieber wach.
Ich bin
mehr betrunken,
du mehr nüchtern.
Du machst dir Gedanken über
dieses,
ich über jenes.
Ich denke an heute,
du an morgen.
Du
hast eine Katze,
ich einen Kater.
Ich mag Frauen,
du magst
Männer.
Ich liebe dich,
du liebst mich.
Was wollen wir
mehr?
Der Herausforderer
Jahrelang standen wir uns am Tresen
gegenüber, und
mal ging die Runde an dich, mal habe ich
einen Sieg
errungen.
Wir fighteten hart um jeden Zentimeter, in den
Kaschemmen,
draußen im Park oder
oben in meiner Wohnung. Du bist immer
jung
geblieben, in bester Kondition, absolut
durchtrainiert, und die
Liste deiner Gegner
liest sich wie das Who is Who der
High-Society.
Meine schlampige Art, mich vorzubereiten,
brachte dir
einige Punktsiege ein, bei denen
du mir ein paar Frauen, ein paar Jobs
und
etliche Jahre genommen hast.
Kürzlich wollte ich dir den Titel
hier in Dortmund
streitig machen und ging mit abgeschlafftem
Geist
und zu hohen Leberwerten auf
dich los.
Für einen Moment sah es so
aus, als wäre ich
wieder ganz der Alte, und ich schaffte es
sogar,
dich in der vierten Runde anzuknocken, doch
wie das so ist
beim Saufen, du kamst wieder
hoch, spieltest deine ewige Jugend
gegen
mich aus und gabst noch einmal alles:
Bier, Wein und Jim
Beam, und wie ich schließlich
K.O. auf die Bretter knallte, hatte
ich
nicht nur den Kampf, sondern
Frau, Kind und Wohnung
verloren.
Den Job hast du mir gnädigerweise gelassen.
Für eine
Revanche
kein schlechter Ausgangspunkt.
Sex kann göttlich sein
Hier wird mich bestimmt keiner so
schnell finden, in
diesem schäbigen 8 qm-Zimmer, weit weg vom
Irgendwo,
nah genug am Nirgendwo.
Es kommt mir vor wie das Nirwana,
ein Teufelsplatz
für die Abtrünnigen, für das Strandgut
der
europäischen Kultur, die sich etablierte Absteigen
nicht leisten
können oder wollen, in das ich
aus bestimmten Gründen, hineingestoßen
wurde.
Hier wohne ich Wand an Wand mit einem neuzeitlichen
Jesus
Christus, einem Touristen aus Texas, und
schräg gegenüber haust eine
Nutte
aus New Jersey.
Seit ich sie vor zwei Stunden das erste Mal
gesehen
habe, bemühe ich mich verzweifelt, ihre
Aufmerksamkeit zu
erregen.
Ich drehe mein Transistorradio auf, klappere mit
der Tür,
indem ich alle 15 Minuten auf Klo
im Flur gehe, und führe interessante
Selbstgespräche.
Der Jesus-Freak ballert von rechts seine Bibel
gegen
die Wand, und von links macht sich der Tourist
entsprechend
bemerkbar.
Schräg gegenüber bleibt es ruhig.
Nach mehreren Dosen
Bier erinnere ich mich an den Grund
meines Daseins, und daß ich hier
bin, um mich
vor denen dort, die mein Geld und meine Seele
wollen,
zu verstecken.
Am nächsten Morgen finde ich 2 Zettel an der
Tür.
Auf dem einen steht:
Jesus liebt dich.
Und auf dem
anderen:
Jessica liebt dich für 70 Dollar.
Weg von hier
Bring mich weg von den sterbenden
Kreaturen
mit ihrem fadenscheinigen Lächeln,
das sie in meiner
Gegenwart zu Grabe tragen,
während sie hinter ihrem Rücken die
Säbel
wetzen.
Bring mich weg von den Typen mit
Lebensversicherungspolicen
und Eigenheimen.
Schick mir nicht die Kerle auf den Hals,
die sich
durch Buckeln und Treten eine
Existenz schaffen.
Bring mich weg von
dieser trivialen Mittelmäßigkeit:
Mittelmäßige Jobs
Mittelmäßige
Frauen
Mittelmäßiges Einkommen...
Irgendwie ein Auskommen
und
immer wieder in der gottverdammten Mitte stehen.
Ein Rückgrat aus
Wackelpudding,
im Gesicht und im Geist so braun wie Scheiße
bilden
sie die goldene Mitte, in der ich mich
und euch nicht sehen
will.
Wenn die Götter mir nur einmal gnädig sein wollen,
bringen sie
mich weg,
an einen Ort,
wo die Sonne keine Schatten
wirft.
Zirkus
Ich stehe Kopf
in einer bodenlosen
Welt,
hänge im Netz
der Unterworfenen,
am Rande der Manege
und
es fehlen
nur einige Pinselstriche,
um mich
von den Clowns
zu
unterscheiden.
Ich liebe
lange Abende am Kamin
(oder in der
Kneipe)
lange Nummern,
z.B. 1 823 465,
lange Gesichter der
anderen,
wenn man selbst der
Schadenfrohe ist,
lange Beine
von
Wasserstoffperoxidblondinen,
langes Warten
auf Godot
oder den
Tod
und lange
Gedichte,
so wie dieses.
Rezensionen:
Dunkle Gedichte aus dem Untergrund
Bei seinen Streifzügen durch die Unterwelt ist der Dortmunder Autor
Hartmuth Malorny Orpheus und Eurydike nicht begegnet, dafür aber allerlei
skurrilen, ausgeflippten und auch traurigen Gestalten. Sein Gedichtband
"Bewegungen im Untergrund" erscheint jetzt im Ariel-Verlag und wurde bei den
Neuerscheinungen auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt.
Hartmuth Malorny (37) ist Straßen- und U-Bahn-Fahrer bei den Dortmunder
Stadtwerken, widmet sich schon seit Jahren recht erfolgreich der sog.
Underground-Literatur und wird wegen seiner hauptberuflichen Tätigkeit auch "U-Bahn-Bukowski"
genannt. In seinem neuen Band mit "dunklen Gedichten", wie er sie im
Untertitel androht, erzählt er in einer eigenartig schroffen, manchmal aber
auch fast poetischen Sprache von den "Schönen der Nacht", vom Alkohol, von der
Einsamkeit, vom Überdruss, von verlorenen Stunden und von der Sehnsucht.
(S.K) Ruhr Nachrichten, Okt. 96
Bewegungen im Untergrund
Im öden Hauptberuf U-Bahnfahrer in Dortmund, holt Malorny auch in seinen
„Dunklen Gedichten" die rauhe Wirklichkeit nicht selten ein. Daß unter diesen
Umständen Titel wie „Mit der Zeit werden wir alle irgendwann einmal verrückt"
zustandekommen, kann deshalb nicht verwundern. Auch nicht die Deutlichkeit,
die schon in einigen Passagen seinesVorvvorts nichts zu wünschen übrig läßt:
„... und weil ich die Fäkalsprache der euphemistischen Ausdrucksweise
vorziehe, sind meine Gedichte die negative Auslese unserer schöngeistigen
Literatur ...".
Malorny sieht den Karren im Dreck, aber niemand, der ihn da wieder rauszuholen
vermag. Warum auch? Erstens lassen sich prima Gedichte darüber schreiben und
zweitens findet er sich in dieser schäbigen Düsternis so gut zurecht, daß er
drittens ziemlich oft auf lakonisch-überzeugende Pointen zusteuert und sich
viertens in der dritten Dimension von Alkohol, Sex und Einsamkeit wiederum gut
genug auskennt, um angemessen davon erzählen zu können. Das macht er reichlich
und ungeniert, und das tut eher durchschnittlichen Gemütern sicherlich auch
schon mal weh.
Aber Malornys neuer Gedichtband wendet sich ja vor allem an Leute wie du und
ich, die die „Bewegungen im Untergrund" ebensowenig kalt lassen wie den Autor
selbst. Und das, obwohl die Innentemperatur von Seite zu Seite weiter fällt
und der Optimismus schon gleich zu Beginn von ungereimten Eiszapfen umstellt
ist.
Michael Ibach, Schmidt, 2/97
U-Bahn-Bukowski
Als U-Bahn-Bukowski bezeichnete ihn das ZDF nach der Lektüre seines zweiten
Buches. Treffsicher und zugleich voll daneben. Hartmuth Malorny, ohne Zweifel
dem Social-Beat-Genre zugehörig, schreibt von Liebe, Laster, Einsamkeit.
Soweit die Parallelen zu Bukowski. Ein Vergleich, den die Autoren des
genannten Genres mittlerweile gar nicht mehr so gerne hören. Findet ihre
Literatur doch auch noch andere Wege.
Und genau das ist es, das auch den schreibenden Straßenbahnfahrer Dortmunds
Hartmuth Malorny von dem versoffenen Ami-Dichter-Genie Bukowski unterscheidet.
Malorny schreibt nicht, um sich selbst zu gefallen. Er bringt in seinen
Gedichten - oder besser gesagt: Stücken - Gefühle rüber, die unter die Haut
gehen. Versteckt seine eigenen Probleme nicht hinter leeren Worthülsen,
sondern offenbart sie. Allerdings so, daß es nicht aufdringlich, nicht nervend
wirkt.
Seine Stücke übers Ami-Land hingegen sind zwar witzig und eigenwillig, stehen
in der Qualität aber den übrigen Stories nach.
Alles in allem ein Buch, das man sich nicht ins Regal stellen sollte - dafür
ist es zu schade. Immer und immer wieder lesen ist hier angesagt. Das
Aha-Erlebnis wird nicht ausbleiben, denn die Gedankenwelten von Hartmuth
Malorny und seine Auseinandersetzung mit emotionalen Gefilden wird kaum
jemandem fremd sein. Der Dortmunder Malorny ist kein abgehobener Poet, sondern
einer, der die Bewegungen im Untergrund nur zu gut kennt und deshalb Dunkle
Gedichte schreibt.
(uly) BoDo, Feb. 97
www.h-malorny.de