Malorny-Leseproben:
WAS ÜBRIG BLEIBT
Social-Beat-Gedichte
2001 - 100 Seiten, Hardcover
ISBN 3-932497-53-8 / EUR 11,25
im
Wiesenburgverlag, Schweinfurt
Ganz normal
Vielleicht bin ich es, der hier
verrückt ist.
Ich mache mir tatsächlich Gedanken über
Worte die
leicht
über die Lippen kommen, die einfach
so dahergesagt werden von
Leuten,
die sich für normal halten.
Wahrscheinlich halten sie mich
für verrückt, während ich nichts anderes
von ihnen denke.
Sie
stecken in ihren Normen,
in ihren Zwängen, und wenn sie
eventuell an
den Tod denken,
denken sie an Gott.
Die Sache mit Gott habe
ich
bereits im Alter von 15 Jahren
abgehakt denn ich mochte es nie,
ab einem
bestimmten Punkt die Kontrolle über
mein gesamtes Leben
abzugeben, und im
Laufe der Jahre kam noch einiges
dazu, was ich
abhaken konnte:
verschiedene Frauen, diverse Jobs
und die Aussicht
auf den
Pulitzerpreis.
Ode an die Frauen
Damals war dein rotes Haar
wie ein
Feuer, durch das ich auch
gegangen bin.
Damals war dein schwarzes
Haar
wie die Nächte, die ich ohne dich
erlebt habe.
Damals war
dein blondes Haar
fast engelsgleich, und wenn ich
an euch alle
zurückdenke, Ladies,
dann fallen mir zuerst meine
eigenen Fehler
auf, und kurz
danach eure, und anschließend
kommt lange Zeit
nichts.
Ich weiß nicht, wie es die
anderen Typen machen,
mit
denen ihr heute zusammen seid.
Ich weiß nur, dass
die
Männer,
die mit euch auskommen auch
die sind, die wissen, wie
man
ohne euch auskommen kann.
Magie
Es war einer dieser magischen Tage,
an denen ich so eine
Art Glücksgefühl empfand:
Die Sonne schien ins
Zimmer, die Temperatur war angenehm,
auf den Straßen herrschte
Waffenstillstand und die
Glocken der Kirchen läuteten. Mein Kopf
war O.K.
und selbst das Girl neben mir im Bett war O.K.
Sie
schnarchte leise und ich schubste sie leicht an,
und dann schüttelte
sie die Bettdecke und drehte
sich zu mir um, und das Erste, was sie
an
diesem Morgen sah, war mein Gesicht und
die Staubpartikel die in
den Sonnenstrahlen tanzten.
Es war einer dieser magischen Tage, an
denen
ich aufwachen und sie anschauen konnte
ohne gleich wieder den
Abend herbeizusehnen,
oder ein anderes Girl, und statt Bier
kaltzustellen
kochte ich Kaffee, und da Rot (neben Schwarz) meine
Lieblingsfarbe
ist, strich ich ihr durchs Haar, und
anschließend
tranken wir den Kaffee ohne Milch und
Zucker in diesem
Bett neben dem Fenster, durch
das die Sonne schien und das Leben
angenehm
durchleuchtete.
Es war ein magischer Morgen eines
idyllischen Tages
wie man ihn nur selten erlebt, und nach dem
Kaffee
machte ich es mit ihr in einer riesigen Staubwolke
und dann
schliefen wir wieder ein,
weil wir soviel Glück nicht ertragen
konnten.
Immer nur Bier
Immer nur Bier in rauen
Mengen,
und die Frauen sind fast alle
beinahe darin
ertrunken,
(wenn sie sich in meiner Nähe aufgehalten haben)
oder
einfach weggespült worden
in die Arme und zwischen die Beine
anderer
Männer.
Ich sitze an der Schreibmaschine um das Puzzle
meines Lebens
zusammenzufügen,
und bin auf der Suche nach den
letzten
Teilchen,
den fehlenden Verbindungen
in der Kette meiner
Erfahrungen.
Solange die Buchstaben aufs Papier knallen,
solange die
Geschichten meiner Träume
größer als mein Schatten sind,
werde ich
Bier dazu trinken
und wenn sich die Götter der Unterwelt einig
sind,
ist es eine beschlossene Sache
gegen die man nicht mehr
angehen kann,
und zum Schluss - 1,80 m tief -
gibt's höchstens eine
Schüppe Sand in die
Fresse,
anstatt
immer nur
Bier.
Völlig chaotisch diese Frau.
Je länger ich sie kenne,
umso mehr bemerke ich das Chaos,
das sie
fabriziert, hinterlässt, und
in mein Leben bringt.
Ich brauche meine
Ruhe,
und wenn ich sie dann endlich
habe, fällt mir auf,
dass ich
etwas vermisse:
Diese Frau und das Chaos
um sie herum,
dass ich
vergrößern möchte,
in mir und in ihr,
solange sie nur
bei mir
bleibt.
Man mischt sich ungern ein...
Irgendwo in einer billigen Raststätte
nahe der Autobahn,
nicht in diesem Land,
aber es hätte auch mitten
in Deutschland sein
können,
jedenfalls war es eine Raststätte
und
ich saß am Tresen und trank kaltes Bier,
und an einem Tisch
saßen zwei Fernfahrer,
bärtig, dick, alt und tranken Kaffee.
Es war
ein Selbstbedienungsrestaurant und an
der Kasse hockte eine junge Frau
und pinselte ihre
Fingernägel.
Ab und an ging ich rüber zur
Kühltheke und holte
mir ein neues Bier, während die Frau an
der
Kasse gleichgültig ihre Nägel betrachtete.
Dann kamen zwei
kleine Mädchen rein.
Sie blickten sich um, und endlich
entdeckten
sie den Behälter mit Bonbons, der direkt
neben der
Registrierkasse stand.
Was kostet ein Bonbon? fragten
sie
unschuldig.
Wieviel Geld habt ihr denn?
fragte die
Kassiererin zurück.
Einen Penny, sagte die etwas Größere.
O.K.
Mädels, zwei Bonbons für einen Penny,
meinte die
Kassiererin.
O.K. sagten die Mädchen im Chor, knicksten
leicht in
den Knien, nahmen die Bonbons und
legten den Penny auf die Ablage
und
verschwanden.
Seit wann gibt es zwei Bonbons für einen Penny?
fragte einer der beiden Fernfahrer.
Was geht euch das an? fragte
die Frau zurück.
Die beiden schwiegen und tranken in Ruhe
ihren
Kaffee.
Ich trank mein Bier.
Die Kasiererin lackierte weiter ihre
Fingelnägel.
Dann standen die beiden alten, dicken,
bärtigen
Fernfahrer auf und ließen einen Geldschein am
Tisch
liegen.
Hey, rief die Frau, ihr kriegt noch Geld
raus.
Was geht dich das an? sagten die beiden im Chor
und
verschwanden durch die Tür.
Die Frau schaute kurz zu mir rüber,
schüttelte
ihren Kopf und betrachtete fasziniert ihre
nunmehr
fischblutroten Fingernägel.
Ich holte mir das nächste
Bier.
Die letzte Straßenbahn nach Wickede
Die Tage im Spätdienst brachten immer
ein wenig
Abwechslung. Ab 20 Uhr wurde es
ruhiger in der Stadt. Die
Verkäuferinnen fuhren
nach Hause, die Abteilungsleiter, und selbst in
den
Büros gingen die letzten Lichter aus. Wir konnten
uns entspannen
und wurden selber - mit unseren Bahnen -
immer langsamer.
An den
Endstellen blieb sogar Zeit für eine Zigarette.
Wer gegen 22 Uhr noch
eine kleine Pause hatte,
beschäftigte sich im Aufenthaltsraum mit
nur
einem Thema:
Wann musst du drin sein?
Null Uhr
dreiundvierzig. Und du?
Null Uhr achtundvierzig.
Dann achte
darauf, dass du an der Kampstraße
auch hinter mir bleibst.
An der
Kampstraße war der letzte Knotenpunkt,
und ab hier ging es eingleisig
zum Betriebshof.
Das heißt, wer an der Kampstraße hinten
war, der
blieb es auch.
Mich fragte keiner, wann ich drin sein sollte
denn
sie wussten Bescheid, dass ich immer
im gleichbleibenden Trott
fuhr,
und selbst auf dem eingleisigen Stück Richtung Betriebshof
gab
ich mir keine Mühe, und
öfter zuckelten sie zähneknirschend
hinter
mir her und wunderten sich,
warum ich nicht aufdrehte.
Mir war es
egal, wann ich in
den Betriebshof fuhr, und da ich
während der
gesamten Tour nicht auf
die Uhr guckte, tat ich es zum
Feierabend
auch nicht.
Ich war ihnen ein Rätsel, und
deshalb
veranstalteten sie ihre kleinen Rennen
untereinander, sie
sprachen sich ab,
ihre Gesichter leuchteten wenn sie es
schafften,
3-4 Minuten früher einzufahren.
Als ich einmal die letzte Acht
nach
Wickede fuhr, grüßten mich die entgegenkommenden
Kollegen
besonders freundlich, weil
ich ihnen nicht im Weg war, und sie
blendeten
von weitem die Scheinwerfer auf, dann den Blinker
rechts
und links, und während wir aneinander
vorbeifuhren, hielten sie den
Daumen auf der
Klingel, dass es nur so in den Straßen
schepperte.
Ich hob kurz die Hand und war eigentlich ganz
woanders.
In Wickede wechselte ich den Fahrschalter, zündete
mir
eine Zigarette an und starrte in die dunkle
Nacht.
Es war Vollmond.
Ich dachte an all die Rothaarigen, die
irgendwo in irgendwelchen Betten
lagen und schliefen.
Ich dachte sogar an Grünhaarige und
Kahlköpfige.
Wahrscheinlich würde ich bis zur Kampstraße
keinen
einzigen Fahrgast aufnehmen.
Doch warum könnte es nicht
passieren?
Ihr Haar wäre rot und reichte ihr bis zum
Arsch, und
eventuell würde es sich im Licht
des Mondes über Wickede
spiegeln.
Vielleicht würde gar ihr Arsch leuchten?
Der Gedanke war
erhaben. Fast göttlich.
Ich steckte mir eine weitere Zigarette
an.
Manchmal konnte die Welt gnädig sein in
diesen Momenten des
Alleinseins.
Die Elektromotoren der Straßenbahn summten
leise. Die
Menschheit war mit sich im Reinen.
Zumindest hier und heute in
Wickede. So schien es.
In solchen Augenblicken war der Job angenehm.
Ich zertrat die Kippe und machte es mir im
Fahrschalter bequem.
Ich schloss die Türen und fuhr los.
Erst an der Kampstraße stieg
ein älterer Mann zu.
Warum so spät? Warum nix pünktlich? fragte
er.
Warum was? fragte ich zurück.
ich denken, Sie nix
kommen.
Jetzt bin ich ja hier, antwortete ich und fuhr
weiter.
Als er kurz vor dem Betriebshof ausstieg,
sah er mir lange
nach und schüttelte den Kopf.
An der Schranke winkte ich dem
Pförtner
zu. Auch er schüttelte den Kopf.
Dann rangierte ich die
Bahn auf das zugeordnete
Gleis und blickte zur Uhr, um die Zeit
ins
Wagenlaufbuch einzutragen.
Ich war genau 20 Minuten zu spät. Was
solls.
Ich brachte die Papiere zum Fahrbetriebswart, und
der
schüttelte zuerst seinen Kopf und fragte:
Meine Fresse, du bist
verdammt spät dran.
Hattest du Ärger mit Besoffenen?
Ja, ja,
entgegnete ich kurz und wusste,
dass mich zu Hause keiner mit
einem
Kopfschütteln erwarten würde, und erst so gegen
Morgen bekäme
ich Ärger mit einem
Besoffenen. Vorausgesetzt, ich hatte genug Bier
im
Kühlschrank.
Rezensionen
Westzeit/Adelmann für "Was übrig bleibt" :
Wenn Bukowski überlebt hat, dann in Hartmuth Malorny. Abgesehen davon, daß er nicht zur Pferderennbahn geht, nimmt er sich den klassischen Chinaski-Themen an: Frauen, Alkohol und miese Jobs. Nur mit dem kleinen Unterschied, daß Malorny nicht Briefe austeilt, sondern U-Bahn fährt. Mal lakonisch, mal zynisch, mal heiter, mal schwermütig begegnet er einer Welt, die ihm nicht viel mehr zu bieten hat, als ein gut gezapftes Bier und eine schnelle Nummer. Der Sinn des Lebens holt sich hier selbst einen runter. Malorny ist mittlerweile einer der wenigen Dichter, die es noch verstehen, Gedichte zu schreiben; die sich nicht der Prostituierten Kommerz hingeben und sich bei jeder Gelegenheit anbiedern. Er schreibt, um des Schreibens willen und um selbst zu überleben, nicht um anderen zu gefallen.
April, 2002, Westzeit
Von Roland Adelmann
www.h-malorny.de